DAS KOFFERRADIOORCHESTER

from BILDERBUCH ZUM AUSMALEN by ERIK MÄLZNER

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words / voice / portable radio / sampler / computer

lyrics

Das Kofferradioorchester. Es gilt als das erste in unserem Land. Besonders erwähnenswert ist, daß dieses Orchester in einem der abderitischsten Dörfer, das jahrzehntelang von Katastrophen wie Dummheit und Freßsucht heimgesucht worden war, gegründet wurde. Die Dorfbewohner konnten damals kaum lesen oder schreiben, geschweige denn ein Orchester mit einem Kostenaufwand von 1000 Mark pro Jahr unterhalten. Eine der Hauptursachen, die unser Dorf aus Völlerei und Rückständigkeit erlöste, ist der Verzicht auf das einseitige Betreiben von Landwirtschaft und die Einführung der Straßenbeleuchtung. Mit der raschen Etablierung kollektiver Bastelstunden erhöhte sich auch die Intelligenz jedes einzelnen Bauern. Alte Mietskasernen wurden dem Boden gleich gemacht. Mehr als 270 Haushalte sind in neue Holzhäuser umgezogen. Jede Familie lebt jetzt in Mehrgenerationshäusern, vor denen kleine Gärten mit Gemüse oder Blumen und Bäumen liegen. Fast jeder Haushalt hat ein Regal mit Büchern, manche sogar mehrere. Außerdem wurde eine Reihe kultureller Einrichtungen wie ein Kintopp mit 100 Plätzen, ein Jugendheim und ein kleiner Parkplatz gebaut.
Die neue Musik gehört nun auch zu unserem Dorf. Dies soll von Generation zu Generation fortgesetzt werden. Viele junge Leute sind in der Lage, Kofferradios oder ähnliche Abspielgeräte zu bedienen. Die ideellen Voraussetzungen für ein Kofferradioorchester waren da, was nicht für Geld zu haben ist. Aber um die Kofferradios zu besorgen, brauchte es viel Energie. In den umliegenden Städten haben wir viele Kofferradios auftreiben können. Jeder Spieler wurde mit Anzug und Lederschuhen ausgestattet. Das Orchester besteht aus 58 Personen, vom Backfisch von 16 bis zum Ahn von 78 Jahren. Die meisten von ihnen sind Absolventen der Grundschule. Wir, die Söhne und Töchter von Bauern, sind zwar mit Strom vertraut, vom Bedienen neuerer Receiver kann aber keine Rede sein. Manche von uns haben sie sogar vorher niemals gesehen. Glücklicherweise gibt es im Jugendheim einige Elektriker, die sehr in ihrem Beruf aufgehen. Einige Lehrer aus der Hauptstadt haben uns auch Hilfestellung gegeben. Sie erteilten uns Kreativunterricht, und wir arbeiteten so eifrig, daß wir überhaupt nicht mehr an Essen und Schlafen dachten. Unsere Mühe war auf die Dauer von Erfolg gekrönt. Nach nur einwöchiger Probe waren wir in der Lage, ein paar interessante Stücke zu spielen, was die freundliche Ermutigung unseres Publikums zur Folge hatte. Das gab nicht nur uns selbst sondern auch unseren Lehrern neue Kraft. Jetzt können wir eine Reihe perlusorischer Avantgardestücke spielen.
Bei einigen Stücken singen wir auch. Das bereitet uns große Freude, obwohl es nicht immer perfekt klingt. Wir haben besondere Lieder für Gäste. Eins lautet so:
„Die Gäste sind aus der Stadt zu uns gekommen, ohne die Strapazen des Weges zu scheuen. Hurtig, bietet ihnen ein Bett fürs Nickerchen an und bringt ihnen eine Schale Gänsewein.“ Bei scheidenden Gästen wird ein fröhlicheres Lied gesungen. Für Familienfeiern oder Treffen der Arbeitskollegen gibt es Klagelieder. Wir machen Lieder für jeden Anlaß: zum Beenden von Freundschaft, zum Zügeln der Wollust, zur Absage von Gästen, zur Kindertherapie usw. Lieder werden auch benutzt, um Streit in der Mischpoke zu klären. Kritik wird oft in Liedern geübt, denn je mehr jemand singt, desto tiefer ist das Verständnis und desto schärfer die Gedanken.

Ein Beispiel für eines der Lieder sei folgender Text, der noch keinen Titel hat.

durch die Stadt spazieren / erst muß die alte Farbe ab / die Straße führt nach Westen / Affen turnen durch die Bäume / auf Eis drehen die Räder durch / er trottet durch die Gegend /
ein Stein fliegt durch die Scheibe / Wasser sickert durch den Boden / Abstimmung erfolgt per Handzeichen / Blätter fliegen durch die Luft / die Stadt wurde durch Hochwasser zerstört / er geht ziellos durch die Straßen /
ein Bach fließt durch den Abfall / mit Fackeln durch die Straßen / ein Arzt tupft Wunden ab / Keime durch kochen abtöten / Wind bringt beißende Kälte mit / er kämpft sich durch die Menschenmenge /
durch eine Lawine wurden Häuser vernichtet / Truppen sind durch die Stadt gezogen / mit dem Kopf durch die Wand / durch die Maschen des Gesetzes / das Herz pumpt Blut durch die Adern / er bummelt gemütlich durch die Stadt /

Bis jetzt hatten wir bereits mehr als 15 Aufführungen. Die Zuhörerschaft umfaßt nicht nur die Dorfbewohner, sondern auch die Einwohner der nächsten Stadt und die Arbeiter der Betriebe in der Umgebung. Wir sind sogar auf eine Reise gegangen, und die Resonanz beim Publikum war unerwartet positiv. Nur sechs Personen haben den Saal verlassen. Wir hätten nicht gedacht, daß sich so viele Leute für unsere Lustbarkeit interessieren. Wir würden auch zu Hochzeiten und bei Bestattungsfeiern spielen, wodurch unser Kofferradioorchester mit dem Alltagsleben der Dorfbewohner noch enger verbunden wäre.


The portable radio orchestra. It is considered the first in our country. It is particularly noteworthy that this orchestra was founded in one of the most abderite villages, which had been ravaged for decades by disasters such as stupidity and boulimia. The villagers could hardly read or write at that time, let alone maintain an orchestra at a cost of 1000 Deutschmarks per year. One of the main causes that our village redeemed from gluttony and backwardness is the abandonment of the one-sided operation of agriculture and the implementation of street lighting. With the rapid establishment of collective craft hours, the intelligence of each individual farmer also increased. Old blocks of flats were razed to the ground. More than 270 households have moved into new wooden houses. Each family now lives in multi-generation houses, in front of which lie small gardens with vegetables or flowers and trees. Almost every household has a shelf of books, some even several. In addition, a number of cultural institutions such as a 100-seat cinema, a youth center and a small parking were built.
The new music now belongs also to our village. This is to be continued from generation to generation. Many young people are able to operate portable radios or similar playback devices. The ideal prerequisites for a portable radio orchestra were there, that you can´t by for money. But getting the portable radios took a lot of energy. In the surrounding cities we have been able to find a lot of portable radios. Each player was fitted with a suit and leather shoes. The orchestra consists of 58 people, from a young teenager of 16 to a grandfather of 78 years. Most of them are primary school graduates. We, the sons and daughters of farmers, are familiar with electricity, but there can be no question of serving newer receivers. Some of us have never seen them before. Fortunately, there are some electricians in the youth center who are very active in their profession. Some teachers from the capital have given us help also. They gave us creative lessons, and we worked so diligently that we no longer thought about eating and sleeping at all. Our efforts were successful in the long run. After just a week of rehearsal, we were able to play some interesting pieces, which resulted in the friendly encouragement of our audience. This gave new strength not only to ourselves but also to our teachers. Now we can play a series of perlusory avantgarde pieces.
With some pieces, we sing, too. This gives us great pleasure, although it doesn't always sound perfect. We have special songs for guests. One goes like this:
"The guests have come to us from the city without shying away from the strains of the trail. Hurty, offers them a bed for napping and brings them a bowl of goose wine." With departing guests, a more cheerful song is sung. There are laments for family gatherings or work colleagues meetings. We make songs for every occasion: To end friendship, to restrain the lust, to cancel guests, to children's therapy, etc. Songs are also used to clarify quarrels in the clan. Criticism is often dealed out in songs, because the more someone sings, the deeper is the understanding and the sharper are the thoughts.

An example of one of the songs is the following text, which does not have a title yet.

walking through the city / first, the old paint has to remove / the road leads to west / monkeys move through the trees / on ice the wheels are spinning / he trots through the area /
a stone flies through the pane / water seeps through the ground / voting is done by show of hands / leaves fly through the air / the city was destroyed by floodwaters / he walks the streets aimlessly /
a stream flows through the waste / with torches through the streets / a doctor dashes wounds / kill germs by cooking / wind brings biting cold / he fights his way through the crowd /
houses destroyed by an avalanche / troops have moved through the city / with the head through the wall / through the meshes of the law / the heart pumps blood through the veins / he strodes snugly through the city /

So far, we've had more than 15 performances. The audience includes not only the villagers, but also the inhabitants of the nearest town and the workers of the companies in the area. We even went on a trip, and the response from the audience was unexpectedly positive. Only six people have left the hall. We didn't think so many people were interested in our junket. We would also play at weddings and funerals, which would make our portable radio orchestra even more closely connected to the everyday lives of the villagers.

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from BILDERBUCH ZUM AUSMALEN, released April 27, 2019

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